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Der Draht zum Markt
von
Herbert Henck
„Wer verkaufen will, muss werben“, wird mir oft täglich und dann gleich mehrfach aus dem Radio versichert. Und je öfter ich die griffige Botschaft, die „Werbung für
die Werbung“ höre, umso mehr wächst mein Glaube an sie, denn Verkäuflichkeit ist und bleibt nun einmal das Nadelöhr, durch das sich alles bequemen muss: ob Waren, Produkte, Leistungen oder
Dienste. Werbung steigert den Wert des Beworbenen, verselbständigt sich dabei aber auch zu einer Instanz, ohne die jegliche Mühe vergebens scheint, die unverzichtbar zu allem Hervorgebrachten hinzutreten muss,
um Angebot und Nachfrage zu verbinden und zur Befriedigung der vielseitigen Bedürfnisse den, der etwas braucht, auf den, der etwas liefert, aufmerksam zu machen.
Wie und mit welchen Mitteln dies geschieht und welche Erkenntnisse der Psychologie hierfür eingesetzt werden, wird häufig zur Nebensache; wichtiger ist, sich gegenüber der Konkurrenz zu
behaupten, wenn nicht durchzusetzen. Bestimmend sind der merkantile Erfolg, der Ertrag, der Umsatz, Gewinn und Profit, an dem die Wirksamkeit und Richtigkeit der Strategie in Heller und Pfennig abzulesen ist. Der
Preis macht die Musik, nicht umgekehrt. Und ist eine Ware gut verkäuflich, „rechnet sie sich“, dann zeigt dies nicht nur, dass die Werbung den richtigen Nerv der Kundschaft getroffen und den echten oder
vermeintlichen Bedarf richtig eingeschätzt hat, sondern der geschäftliche Erfolg wird gleichzeitig zum Garanten von Qualität. Was viele kaufen, ist beliebt und kann ja so schlecht nicht sein.
Wer nicht wirbt, der stirbt. So ist das nun einmal in einer freien Marktwirtschaft, und jeder mag sich seinen eigenen Reim darauf machen und diese seine Freiheit genießen, mag sich
dem multimedialen Werbetrommelfeuer aussetzen und über eines der unermüdlich hingehaltenen Stöckchen springen oder es bleiben lassen. Diesem System entrinnen weder Musiker noch andere Künstler, selbst wenn ihre
Schöpfungen noch mit anderer Elle messbar sind und zum Teil auch anderen Gesetzen gehorchen als allein denen des Marktes, der „freien Marktwirtschaft“ wohlgemerkt. Letzterer Fall scheint etwa auch dann
gegeben, wenn Künstler in Vernachlässigung, wenn nicht Verachtung der Gesetze der Feilheit nur auf ihre so genannten inneren Stimmen lauschen, die nicht immer mit jenen der Verkäuflichkeit harmonieren.
Freilich stellt sich die Frage: Kann man überhaupt für Kunst werben? Oder tut sich hier nicht ein unlösbarer Widerspruch auf? Denn gehört es nicht zum Wesen der Kunst, sich
unmittelbar an einen Hörer, einen Leser oder Betrachter, also unmittelbar an einen Menschen zu wenden, an seine einzigartige Wahrnehmung, seinen Intellekt und seine Empfindungen, ja seine Seele? Gehört es nicht zum
Anliegen der Kunst, das Leben der Menschen zu bereichern durch neue Sichtweisen, durch unbekannte, ungeahnte Zusammenhänge zwischen den deutbaren Materialien – Tönen, Formen und Farben –, die
gleichsam stellvertretend etwas mitteilen über den Geist, das Erleben und Geschick dieses Menschen, der sie hervorgebracht hat? Und bewundern wir nicht am allermeisten an Künstlern, wenn sie einen eigenen,
ursprünglichen Ausdruck gefunden und mit ihren je anderen Mitteln festgehalten haben: eine neue Schönheit, Unverwechselbarkeit und Reinheit, eine zuvor nicht bewusste und begriffene Wahrheit, welche uns und damit
auch die Welt um uns herum ein Weniges ändert, indem sie uns in neuer Form die unendliche Vielfalt der Zusammenhänge und die Unerschöpflichkeit des menschlichen Herzens vor Augen und Ohren führt? Ob das dabei
Erfahrene tatsächlich etwas auszulösen vermag und worin es genau besteht, lässt sich so einfach nicht sagen, zumal es ja keine Ausnahme ist, dass Kunst auf Unverständnis und Ablehnung stößt. Andererseits
hat ein jeder von uns wohl ein sehr feines Gespür, ob die Kunst, der man begegnet, uns tatsächlich etwas zu sagen hat oder nicht, ob man sie nun preist oder verwirft, weil andere sie preisen und verwerfen, oder ob
eine Saite in uns zum Klingen kommt, die uns auch ohne Analysekurs verstehen und mitfühlen lässt, warum etwas so und nicht anders gesagt wurde.
Diese Beziehung zwischen dem, der Kunst erschafft, und dem, der sie wahrnimmt, duldet im Grunde keine werbenden, irgend Zufriedenheit verheißenden Vermittler, die das Ergebnis
vorwegnehmen, die Pointe stehlen und marktschreierisch für ihre Zwecke ummünzen oder doch zumindest beeinträchtigen. Die flotten Sprüche, gestelzten Parolen und gezierten Photos verzerren, verraten auch noch in
ihrer dezentesten Form die Kunst; und der Künstler, der sich ihnen willig unterordnet oder sie ohne Not für seine eigenen Interessen bemüht, macht sich selbst zum Gecken, der mit der Linken zerstört, was er mit der
Rechten errichtet.
Wie oft habe ich in den Biographien, die Interpreten über sich verfasst hatten, gelesen, dass sie Einladungen und Auftritte bei den „wichtigsten“ Festivals hatten. Wem waren diese
Festivals tatsächlich wichtig, wenn nicht ihnen selbst? Worin war ihre Wichtigkeit begründet? In der Bedeutung für die Karriere einiger weniger, der Bedeutung für die Allgemeinheit oder gar die der Menschheit? Ein
Festival, das nur neue und unbekannte Namen präsentiert, mag für den dort vertretenen Nachwuchs, der nur hier und nirgendwo sonst eine Chance bekommt, wichtig sein. Andere erwarten im Gegenteil gerade „große
Namen“ und die Stars von gestern, heute und übermorgen, deren Auftritte allein Glanz und darüber hinaus satte Medienpräsenz versprechen. – Und da sind die kilometerlangen Listen, bei welchen Wettbewerben
man ausgezeichnet wurde, nachdem man sich Knute und Knüppel doch alberner Repertoireanforderungen gebeugt hat. Auch dieser stolze Hinweis auf Tätigkeit und Verdienste, die man einst in den Augen einer Jury erwarb,
dient der Werbung. Jedoch: Gibt es nicht turnusmäßig immer wieder dieselbe Art von Wettbewerben, die alljährlich ungezählte „Sieger“ auf den Markt werfen und sie in der süßen Hoffnung wiegen, sie alle könnten
in ihrem Beruf Brot und Butter finden? – Oder nehmen wir jene Werbung, die sich auf Referenzen beruft – ob man nun mitteilt, bei welchen honorigen Lehrern oder an welchen honorigen Schulen man einst
studierte; als habe der beste Lehrer nicht auch unbegabte Schüler und die beste Schule nicht auch Lehrer ohne einen Funken pädagogischen Talents. – Oder schließlich die nicht enden wollenden Zitate von
Kritikerstimmen aus den „hochrangigen“ Zeitungen und Zeitschriften; oder die Meinungen so genannter Autoritäten, die verzückt die Leistungen derer, die sich auf sie berufen, in den rosigsten Farben
zeichnen. – All das soll vereinnahmen, Achtung im Vorfeld erwecken und den Hut ziehen lassen, bevor man den Maestro überhaupt erblickt hat. Und doch schreckt dies alles ebenso sehr ab, da man sieht, wie der
angehende Künstler um seinen Wert feilscht und schachert und noch nicht gelernt hat zu durchschauen, wie fadenscheinig all solche schulterklopfenden Verweise und Stellungnahmen aus zweiter und dritter Hand
sind, wie nichtssagend und verräterisch die Superlative der Werbung sind.
Ich streue Asche auf mein Haupt; weiß ist es ohnedies. Denn ich habe, wie es ja vielleicht auch nicht anders sein kann, kaum eine der gegeißelten Sünden übersprungen. Und wird mir
eine Genugtuung zuteil, dann allenfalls die, wenigstens einen Teil meiner Torheiten als solche erkannt zu haben. Und das Fazit? Die beste Werbung liegt noch immer in der Arbeit selbst, denn sie spricht für sich. Oder?
Erstdruck als Der Draht zum Markt (Kolumne), in: Piano NEWS. Magazin für Klavier und Flügel, Heft 3, 2005, Düsseldorf:
Staccato-Verlag, Mai/Juni 2005, S. 38 f. – Durchgesehene, überarbeitete Fassung. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Erste Eingabe ins Internet: Donnerstag, 27. April 2006
Letzte Änderung: Samstag, 23. April 2016
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